Kein Ende der "Schattenhaushalte" Wir zahlen für Sondervermögen, von denen Sie noch nie etwas gehört haben

FOCUS-online-Autor Christoph Sackmann (München)

Freitag, 24.11.2023, 15:07

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz feierte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimafonds als "Ende aller Schattenhaushalte". Doch das stimmt nicht. Zahlreiche Sondervermögen werden weiterhin jährlich mit Milliarden Euro aus dem Haushalt gefüttert. Die Ampel braucht Geld - woher soll es kommen, wenn es nicht vom Himmel fällt?

Die Sondervermögen der Bundesregierung sind erst in den vergangenen Jahren in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, weil sie mit immer höheren Summen ausgestattet werden. 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, 50 Milliarden Euro für die Abwehr der Corona-Krise, sogar 200 Milliarden Euro für den "Doppel-Wumms" der Energiekrise. Weil die Summen immer höher wurden und die Finanzierung immer trickreicher, klagte erst die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag.

Der Grund: Die Bundesregierung fing an, die Milliarden Euro aus den Sondervermögen auch noch zwischen selbigen zu verschieben und bekam vergangene Woche vor dem Bundesverfassungsgericht bekanntlich Recht. Die Richter setzten strenge Regeln für Sondervermögen an. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz feierte das als "das Ende aller Schattenhaushalte". Als solche bezeichnete er die Sondervermögen der Bundesregierung.

Damit hat er jedoch Unrecht. Das Bundesverfassungsgericht verbietet Sondervermögen nicht, außerdem sind maximal zwei dieser Schattenhaushalte vom Urteil überhaupt betroffen: der Klima- und Transformationsfonds (KTF) und der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF). Daneben gibt es aber weitere Sondervermögen, für die wir teils noch jahrelang zahlen müssen.

Ausgaben aus der Zukunft werden vorgezogen

Die Natur eines Sondervermögens ist, dass die Bundesregierung damit keine neuen Schulden machen darf, sondern nur Ausgaben aus der Zukunft vorzieht. Technisch funktioniert das so, dass die Regierung ein Sondervermögen zwar mit einer bestimmten Geldsumme ausstatten kann, dieses Geld später aber zurückgezahlt werden muss. Sondervermögen sind also im Prinzip eine Art Kreditvertrag.

Dabei gibt es zwei unterschiedliche Möglichkeiten. Die erste ist, dass ein Sondervermögen eine eigene Kreditermächtigung besitzt. Das bedeutet, dass dieses eigene Kredite aufnehmen darf. Der WSF ist etwa ein solcher Fonds. Die Mehrheit der Sondervermögen besitzt keine Kreditermächtigung. Sie werden deswegen mit Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt oder anderen Einnahmen gefüttert. Alle Kredite und Bundeszuschüsse muss der Fonds in späteren Jahren zurückzahlen. Der Bundeshaushalt wird also in den Jahren der Kreditaufnahme von diesem Sondervermögen durch Schulden belastet, die er in späteren Jahren bezahlen muss.

Für Sondervermögen ohne Kreditermächtigung gilt daher die Schuldenbremse des Bundeshaushaltes, da sie eben aus diesem bezahlt werden. Für Sondervermögen, die eigenen Kredite aufnehmen dürfen, gilt die Schuldenbremse nur, wenn diese nach 2011 ins Leben gerufen wurden. Das betrifft bisher einzig den Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Das ist der Grund, weswegen Experten schätzen, dass er durch das Karlsruher Urteil ebenfalls umgestaltet werden muss.

Das Sondervermögen der Bundeswehr ist eine Ausnahme. SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU änderten dafür das Grundgesetz so, dass dieser Fonds eine eigene Kreditermächtigung besitzt, diese aber außerhalb der Schuldenbremse operiert. Trotzdem muss auch dieses Sondervermögen die 100 Milliarden Euro wieder zurückzahlen.

Neben den drei erwähnten Fonds gibt es noch weitere. Hier ist der aktuelle Stand:

1. Das ERP-Sondervermögen ("Marshall-Plan") - 1953

Das erste Sondervermögen der Bundesrepublik Deutschland wurde 1953 beschlossen und trivial unter dem Namen "Marshall-Plan" bekannt, benannt nach dem damaligen US-Außenminister George C. Marshall. Der offizielle Name ist aber "European Recovery Program" oder zu Deutsch: Europäisches Wiederaufbauprogramm. Die heute noch tätige Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) wurde extra zur Verwaltung dieses Sondervermögens gegründet. Gegründet wurde das Sondervermögen mit 6 Milliarden D-Mark (rund 17 Milliarden Euro in heutiger Kaufkraft). Der Clou: Das Geld wurde in Form revolvierender Kredite an Unternehmen ausgegeben. Das heißt, die Rückzahlungen der Kredite, meist mit Zinsen, konnte die KfW dann wieder neu ausgeben. Bis 2008 wurden so Kredite im Wert von 125 Milliarden Euro vergeben. Weil die Mittel für das Sondervermögen aus den USA stammten und die wiederum den Großteil der Schulden erließen, besitzt das ERP seit 1966 keine Schulden mehr. Stattdessen können auch die heutigen KfW-Förderprogramme noch immer aus dem Sondervermögen vergeben werden.

2. Das Bundeseisenbahnvermögen - 1994

Als die Bundesbahn 1994 privatisiert und dadurch die Deutsche Bahn gegründet wurde, gab es ein Problem. Der neue Konzern sollte zwar alle bahn-relevanten Dinge künftig leiten, aber zur Bundesbahn gehörte mehr. So hatte die Bundesbahn einen eigenen medizinischen Dienst, eine eigene Krankenkasse, verschiedene Stiftungen, Wohnungsgesellschaften und Versicherungen wie etwa die DEVK für die Bundesbahnbeamten. Diese nicht-bahnnotwendigen Bestandteile der ehemaligen Bundesbahn werden seitdem durch das Bundeseisenbahnvermögen verwaltet. Bis heute betreut der Fonds 131.000 ehemalige Beamte. Die Pensionen dieser werden ebenfalls aus dem Sondervermögen bezahlt.

Das Bundeseisenbahnvermögen hat keine eigenen Kreditermächtigung, es wird also aus dem Bundeshaushalt bezahlt. In den vergangenen Jahren lagen die Ausgaben bei rund 5,5 Milliarden Euro pro Jahr. Die Kosten entstehen hauptsächlich durch die Pensionen und Hinterbliebenen-Renten. Dadurch ist aber auch vorgegeben, dass die Ausgaben jedes Jahr sinken werden, je weniger ehemalige Beamte und ihre Angehörigen noch Ansprüche haben. Die Rückzahlung dieser Schulden wird hier einst dadurch erfolgen, dass die Teile des Bundeseisenbahnvermögens an andere Bundesbehörden übertragen werden - darunter eben auch solche wie die DEVK und die Sparda-Banken, die Gewinne abwerfen können.

3. Bundesamt für offene Vermögensfragen - 1994

Das Sondervermögen für offene Vermögensfragen wurde geschaffen, um Enteignungen in der DDR und auf dem Gebiet der DDR während des Nationalsozialismus zu regeln. Angemeldete Ansprüche von enteigneten Privatpersonen und Unternehmen sollten entweder zurückgegeben werden oder wo das nicht möglich war, finanziell entschädigt werden. Die meisten Ansprüche wurden bereits bis zur Jahrtausendwende geregelt. Der Fonds speiste sich hauptsächlich aus Einnahmen der Treuhandanstalt, die diese an das Sondervermögen abgab. Es existiert heute noch, die jährlichen Verwaltungsausgaben liegen aber nur noch bei rund 50 Millionen Euro.

4. Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen (EdW) - 1998

Die EdW ist eine Art Einlagensicherung für Kleinanleger und soll 90 Prozent der Ansprüche aus Wertpapiergeschäften entschädigen, wenn zum Beispiel eine Bank, die Aktien für Sie verwaltet, bankrott geht und Ihnen die Aktien nicht auszahlen kann. Das Sondervermögen wird ausschließlich durch zwangsweise Mitgliedschaft und Beiträge von Unternehmen gefüttert, die mit Wertpapieren handeln.

5. Deutscher Binnenschifffahrtsfonds - 1999

Der Binnenschifffahrtsfonds ist ein Sondervermögen zur Förderung der Binnenschifffahrt. Er wurde aufgrund einer EU-Verordnung gegründet, die jedes Mitgliedsland dazu verpflichtete. Der Fonds besitzt heute Rücklagen von rund 5 Milliarden Euro, die hauptsächlich aus Pflichtbeiträgen von Schifffahrtsunternehmen stammen.

6. Versorgungsfonds des Bundes - 1998

Schon 1982 wurde die Versorgungsrücklage geschaffen, der 1998 um den Versorgungsfonds des Bundes und 2008 um den Versorgungsfonds der Bundesagentur für Arbeit ergänzt wurde. Die beiden Sondervermögen soll mit Hilfe der Bundesbank Gelder für die Zahlung der Beamtenpensionen in der Zukunft ansparen, da die Kosten dafür aufgrund des demographischen Wandels immer höher werden. Seit 2017 werden die Mittel des Sondervermögens für Pensionszahlungen verwendet. Der Versorgungsfonds ist dabei für alle Beamten zuständig, die ab 2007 eingestellt wurden. Im Prinzip handelt es sich also um eine Art Aktienrente für Beamte. Der Bund zahlt dafür mehrere Milliarden Euro pro Jahr in den Fonds nach einem bestimmten Schlüssel ein. Die genaue Summe ist schwer zu ermitteln, weil jedes Ministerium die Mittel für seine eigenen Beamten selbst aufbringen muss. Die Rücklagen aller Fonds liegen mittlerweile aber bei mehr als 30 Milliarden Euro.

7. Vorsorge für Schlusszahlungen für inflationsindexierte Bundeswertpapiere - 2009

Als die Zinsen noch niedrig waren, hatte die Bundesregierung eine clevere Idee. Sie warf inflationsindexierte Staatsanleihen auf den Markt. Deren Clou ist, dass sie dem Käufer nicht nur einen festen Zins bieten, sondern zusätzlich einen Aufschlag, der sich an der Inflationsrate orientiert. Käufer solcher Anleihen profitieren also von höheren Inflationsraten. Das Risiko trägt der Emittent, also die Bundesregierung. Weil die Inflationskosten dieser Anleihen teils erst am Ende der Laufzeit fällig werden, lassen sie sich schwer berechnen. Also gründete der Bund 2009 ein Sondervermögen, in das jedes Jahr aus dem Bundeshaushalt die Inflationskosten des laufenden Jahres einzuzahlen sind. Jahrelang waren die Einzahlungen gering, weil eben die Inflation nahe dem Nullpunkt notierte. Doch mit der Zinswende der EZB und der hohen Inflation steigen auch die Bundeszuschüsse. 2022 waren es rund 4,6 Milliarden Euro, für dieses Jahr sind sogar 9,8 Milliarden Euro eingeplant, für das kommende Jahr 3,1 Milliarden Euro. Deswegen will die Bundesregierung künftig keine neuen inflationsindexierte Bundeswertpapiere mehr ausgeben. Für die jetzigen muss sie aber noch bis 2046 Zinsen zahlen.

8. Finanzmarktstabilisierungsfonds (FMS) - 2008

Der FMS ist das Sondervermögen, das während der Finanzkrise 2008/2009 gegründet wurden. Er sollte notleidende Banken unterstützen und bekam dafür eigene Kreditermächtigungen von bis zu 90 Milliarden Euro. Außerdem konnte er Bürgschaften von bis zu 400 Milliarden Euro übernehmen. Aus dem Fonds wurden etwa die Staatsbeteiligungen an der Commerzbank und der Hypo Real Estate finanziert. Seit 2015 können keine Anträge mehr an den FSM gestellt werden. Seitdem läuft die Rückzahlungsphase. Einnahmen generiert der FMS heute fast nur noch über die beiden Beteiligungen. Die Schulden liegen aktuell noch bei 22,9 Milliarden Euro.

9. Investitions- und Tilgungsfonds (ITF) - 2009

Zur Stärkung der Wirtschaft wurde im Rahmen eines Konjunkturpaketes 2009 der ITF mit einer Kreditermächtigung von 25 Milliarden Euro geschaffen. Bis 2020 wurden aus dem Fondsvermögen vor allem Investitionen von Kommunen, aber auch der Bundesländer finanziert. Schwerpunkte waren Bildung und Infrastruktur. Seit 2020 sind die Auszahlungen beendet, der Fonds hat heute noch Schulden von 16,2 Milliarden Euro.

10. Klima- und Transformationsfonds (früher Energie- und Klimafonds) - 2011

Der jetzt unter Beschuss geratene Klima- und Transformationsfonds (KTF) existiert schon seit 12 Jahren. Er ist grundsätzlich nicht auf Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt angewiesen, weil er eigene Einnahmen aus dem Handel mit Co2-Zertifikaten und neuerdings der Co2-Steuer generiert. Seine größten Ausgabenblöcke sind derzeit die Förderung der Elektromobilität, die Dekarbonisierung der Industrie und der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur in Deutschland. Zusätzliche Ausgaben, wie etwa die Finanzierung der Abschaffung der EEG-Umlage und Fördermittel für das energetische Sanierung und Wärmepumpen, sind nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts fraglich. Zwar sind Bundeszuschüsse an den KTF grundsätzlich erlaubt, es gab sie in den vergangenen Jahren aber nicht.

11. Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) - 2020

Geschaffen zur Abwehr der Corona-Krise wurde der WSF mit Kreditermächtigungen von 50 Milliarden Euro ausgestattet. Im November 2022 wurden diese Mittel wegen der Energiekrise um 200 Milliarden Euro aufgestockt. Tatsächlich wurden bisher rund 60 Milliarden Euro ausgezahlt. Ob mehr hinzukommt, ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts fraglich. Die Rückzahlungsphase für den WSF läuft ab 2028 über maximal 30 Jahre. Nach jetzigem Stand müsste die Bundesregierung ab dann also jährlich rund zwei Milliarden Euro dafür einplanen.

12. Bundeswehr - 2022

Das neueste Sondervermögen sind die 100 Milliarden Euro für die Erneuerung der Bundeswehr. Sie laufen nicht nach den normalen Regeln für solche Schattenhaushalte, denn die Ampel-Koalition änderte dafür mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion das Grundgesetz. So zählen die Ausgaben des Sondervermögens nicht zur Schuldenbremse. Zurückgezahlt werden muss das Geld aber trotzdem - aber erst ab 2031.


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